Stadtbibliothek Graz
Medien der Südwind-Infothek Stadtbibliothek Graz Nord

Newsletter

Der Newsletter informiert Sie über bevorstehende Veranstaltungen.

Newsletter Anmeldung

Kulturserver

Informationen zu: Kulturkalender, Kultur A - Z und dem Kulturamt

kultur.graz.at

Das Tempo-Virus

eine Kulturgeschichte der Beschleunigung

Sachbuch

Standort:

Verfasser:
Borscheid, Peter

Verfasser Angabe:
Peter Borscheid

Schlagwörter:

Verlag:
Campus

Erscheinungsort:
Frankfurt/M.

Jahr:
2004

Umfang:
409 S.

ISBN:
3-593-37488-9

Inhalt:
Steigerung und Beschleunigung gehören zu den wichtigsten Grundprinzipien bei der Entwicklung der Produktions- und Konsumkulturen der westlichen Welt. Stillstand wird dabei als Rückstand oder gar Bedrohung empfunden. Zugleich mehren sich die kritischen Stimmen, die der Non-Stop-Gesellschaft den Rücken kehren und der Entschleunigung, oder gar einer neuen Langsamkeit und Mußekultur das Wort reden. Peter Borscheid ist weder der einen noch der anderen Kaste zuzuschlagen. Er verteufelt die Beschleunigung nicht, aber ebenso wenig zählt er zu deren Apologeten. Was der Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der Philipps-Universität in Marburg hier vorgelegt hat, ist eine akribisch recherchierte Geschichte der Beschleunigung, die zu Recht auch als "moderne Kulturgeschichte" gesehen werden kann, da sie die technische und wirtschaftliche Kultur ebenso einbezieht wie die Alltags- und Freizeitkultur. Die Geschichte der Beschleunigung sei stufenförmig verlaufen, abrupte Steigerungssprünge hätten immer wieder gewechselt mit scheinbaren Ruhephasen, in denen jene neuen Technologien vorbreitet wurden, die dann den nächsten Beschleunigungsschub auslösten, so Borscheid. Stufenförmig ist daher auch das Buch aufgebaut: es beginnt im Spätmittelalter, in dem der Autor den Beginn des "Tempo-Virus" festmacht. Es waren die Kaufleute, die damals im beschleunigten Transport von Gütern und Nachrichten ein sehr profitables Mittel zur Mehrung ihres Gewinns entdeckt haben, ein Prinzip, das mit dem beginnenden Fernhandel noch an Bedeutung gewonnen hat (Beeindruckend beschreibt der Autor übrigens auch die zeitgleiche Ausweitung des Geldsystems mit Wechsel und Zins). Auch wenn Borscheid der "Zeit des Dorfes" (agrarische Gesellschaft bis ins Mittelalter) die "Zeit der Stadt" als Anfang des Beschleunigungsprinzips gegenüberstellt, so wird doch deutlich, dass nicht die Stadt an sich, sondern ökonomische Interessen (kapitalistisches "Steigerungsspiel"), in der Folge auch die Interessen von Fürsten, Staatsherren und Militärs ("Zeit der Macht") der Temposteigerung zugrunde liegen. Die zweite mit 1800-1950 angesetzte Beschleunigungsphase umfasst dann die "Demokratisierung der Geschwindigkeit" durch die Industrialisierung ("Zeit des Dampfes"), die Revolutionierung des Nachrichtenwesens ("Zeit der Ströme"), die Entwicklung der Massenmobilität ("Rasende Automobile") sowie einer neuen Sportkultur ("Rasende Menschen"). Weitere Ausführungen sind der Ausweitung der Kriegsmaschinerien ("Rasende Geschosse"), der Sicherheitsvorkehrungen ("Geregelte Geschwindigkeit"), der Rationalisierung ("Pressierte Menschen") sowie der Beschleunigung in der Kunst ("Rasende Bilder") im 20. Jahrhundert gewidmet. Das abschließende Kapitel über die Tempophase seit 1950 ("Zeit der Elektronik - Die Jagd nach der Nanosekunde") gibt zugleich einen knappen Ausblick auf das, was in Zukunft noch an Beschleunigungen auf uns zu kommen mag. Ein spannend geschriebenes Buch, das zum Verständnis unserer Geschwindigkeitskultur beiträgt, das ihre Licht- und Schattenseiten zwar aufzeigt, bewusst aber - auch wenn der Titel dies suggerieren mag und vielleicht zu Recht auch ein wenig erwarten ließe - keine Zukunftsempfehlungen oder gar Ratschläge zum Ausstieg aus dem "Tempo-Virus" gibt. Auch nicht Thema des Buches sind unterschiedliche Zeitkulturen sowie interkulturelle Zeitvergleiche.